Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

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Lui
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Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von Lui »

Es klingelt an der Tür!
Ein Ruck geht durch unsere Körper, wir strecken uns, ordnen noch die eine oder andere Fellsträhne. Mit gespitzten Ohren lauschen wir den Stimmen. Dann laufen einige schon los, neugierig und erwartungsvoll.
Vertrauensselig schmiegen sich manche von uns sofort an die Beine, machen auf „brave Katze“, die anderen setzen sich in Position: „schau wie schön ich bin“.

Kinder, ihr habt doch keine Ahnung! So wie ihr war ich auch mal, aber heute bleibe ich liegen – ein bisschen Hoffnung kriecht auch mir in den Schwanz, er wackelt ein bisschen hin und her. Meine Augen bleiben halb geschlossen, die Menschen gehen an mir vorbei, wie so oft schon. Sie sind auf der Suche nach einer ganz bestimmten Katze.

Sie taxieren uns von oben herab, streicheln mal hier mal da übers Fell, bedauern und gehen wieder. Nicht einmal eine Spende sind wir ihnen wert! Meine Enttäuschung hält sich in Grenzen, da ich weiß wie die Besuche oft ablaufen, aber die ganze Schar erwartungsfroher Katzen sackt in sich zusammen. Die glänzenden Augen werden stumpf, man geht zur Futterschüssel, nimmt ohne Appetit ein paar Bissen und verzieht sich in irgendeine Kuschelhöhle.

Einige von uns finden sich ab, machen das Beste aus dem Tierheim-Alltag. Schlafen viel, genießen die Zärtlichkeiten unserer wenigen Pfleger in vollen Zügen. Andere sind so frustriert, dass sie ständig kränkeln und den Pflegern große Sorgen machen. Am schlimmsten geht es denen, die einen Tierheim-Koller kriegen: sie geben sich auf, beißen sich die Haut blutig, oder sterben einfach.

Dabei geht es uns im Katzenhaus sehr gut. Wir haben Platz, werden sehr liebevoll behandelt, wer sich nach Natur sehnt, darf sogar Freigang haben. Aber – das beste Waisenhaus, das beste Altenheim, das beste Tierheim ist eben kein eigenes Zuhause mit geliebten Menschen darin.

Das Telefon klingelt!
Wir verharren im Spiel, atmen ganz leise, hören auf zu essen und spitzen die Ohren: um was geht es wohl? Wir hören die Stimme des Pflegers, sie klingt enttäuscht: nein, wir haben keine Katzenbabys!

Es ist Weihnachtszeit. Das Telefon klingelt oft. Unsere Pfleger und wir können die Nachfrage nach Katzenbabys schon nicht mehr hören. Sicher, wir gönnen den süßen Kleinen ihren Kuschelplatz. Aber, was wird denn aus ihnen wenn sie groß sind? Seltsamer Weise werden überwiegend erwachsene Katzen aus den Familien in Tierheime abgegeben: Kind geboren, Katzenallergie, Umzug sind so die Gründe. Oder aber, das ist so mein Gedanke, der kleine süße Fratz ist eben ausgewachsen und man sehnt sich wieder nach einem Katzenbaby, von denen es ja auch jede Menge gibt.

Ja, uns so geht wieder ein Jahr dahin. Einige von uns haben aufgehört zu zählen. Wir freuen uns über jeden Artgenossen der von lieben Menschen heimgeholt wird, aber jedes Mal gibt es auch einen Stich ins Herz.

Weihnachtszeit, Traumzeit, Wunschzeit.

Viele Jahre bin ich schon im Katzenhaus, viele Menschen sind an mir vorübergegangen. Mein Fell war eine lange Zeit sehr stumpf, ich war sehr traurig. Dank der Fürsorge meiner Pfleger ist meine Haut geheilt und ich habe das Träumen entdeckt: Ich schließe die Augen, liege in einem warmen Zimmer auf einer Decke, die nur mir gehört. Meine Menschen unterhalten sich, lachen.

Einer steht auf, kommt zu mir, streichelt mir liebevoll über den Kopf und sagt:“ du bist doch unser Bester! Was für ein schöner Kater du bist!“ Dann strecke ich mich der Hand entgegen und schnurre selig.
Alles ist so wirklich! Ich öffne die Augen und sehe noch eine kleine Weile das schöne warme Zimmer, will es festhalten….

Dann bin ich wieder auf dem Boden der Tatsachen: im Katzenhaus.

Liebe Menschen, ich wünsche Euch eine schöne weihnachtliche Zeit!

Euer Nils (http://www.tierhilfe-sw.de)

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Barbarossa
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von Barbarossa »

Ich muss gaaaaanz tief durchatmen...

Mein armes Paulinchen, du bist auch so eine vergessene Katze gewesen. Alt, in dich gekehrt, übersehen. Beim ersten Besuch damals in der riesigen, überfüllten stickigen Katzenaufbewahrstation des TH habe ich dich auch übersehen. Ich wollte eine ältere, ruhige Einzelprinzessin und habe vor Heulen gar nichts mehr gesehen. Ich musste unverrichteter Dinge fahren.

Eine Woche später versuchte ich es noch einmal. Und sah dich. Ein altes Mädchen, katzenunverträglich, verschlossen, ins TH gekommen, weil deine vorherige Besitzerin ebenso betagt ins Pflegeheim kam. Über 8 Monate vorher. Am Schwanz und am Vorderbeinchen, genau die Stellen, auf die du immer dein Köpfchen in immer der gleichen Haltung gelegt hattest, waren völlig kahl. Ich saß lange vor deinem winzigen Einzelkäfig und redete mit dir. Irgendwann standest du auf und drücktest dein Köpfchen gegen meine Finger. Ich nahm dich mit. Niemand machte eine Vor- oder Nachkontrolle. Sie waren froh, dich los zu sein.

Aber für mich warst du die liebste, bezaubernste, schönste Katze, die ich mir vorstellen konnte. Nur essen wolltest du fast nichts. Ich ließ dir also kurz nach der Ankunft in deinem neuen Zuhause mehrere vereiterte Backenzähne ziehen, den dicken Zahnstein von den wenigen verbliebenen Zähnchen entfernen. Du mochtest trotzdem nur mikroskopische Mengen nehmen. Und obwohl ich dich mit Boviserin füttern musste, dich sogar mal über Nacht in der Klinik lassen musste, wolltest du immer in meiner Nähe sein. Du hast so laut nach mir gerufen, als ich dich aus der Klinik abholte und du meine Stimme hörtest, dass ich um Fassung rang. Nie hast du etwas übel genommen, Hauptsache ich war bei dir.

Obwohl es 18 Jahre her ist, weiß ich immer noch, dass deine Leukozyten sehr stark erhöht bei 27.000 waren. Deine Organe konnten dann nicht mehr richtig arbeiten. Nach nur drei Monaten musste ich dich gehen lassen. Ich glaube, du hast im TH nur so lange durchgehalten, weil du nicht dort sterben wolltest.


Paulinchen war so eine vergessene Katze, die im TH krank wurde, weil sie sich in dem ungewohnten Trubel aufgab, förmlich unterging. Hätte ich 8 Monate früher geschaut, hätte sie vllt. noch ein paar schöne Jahre erleben dürfen. Wer sich schon entschließt ins TH zu gehen, sollte sich nach alten oder Langzeitinsassen erkundigen. Stumpfes Fellchen wird wieder glänzend, traurige Augen wieder fröhlich und ein scheinbar müdes Wesen wieder munter, wenn diese vergessenen Katzen geliebt werden.
Viele Grüße von Kai mit Dunja (01.09.20), ihren Kindern Kim (01.06.21), Alex und Micky (06.10.21)
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susik
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von susik »

:heul: omg, was für schöne traurige geschichten.

danke!

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Claudia
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von Claudia »

Barbarossa hat geschrieben:Ich muss gaaaaanz tief durchatmen...
Ja, geht mir gerade genauso. :traurigguck:

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locke1983
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von locke1983 »

Ich werd immer ganz weich bei solchen Geschichten. *Tränchen weg wisch*

Und ich freu mich auf Samstag - da fahr ich ins Tierheim Katzen kuscheln :herz: :herz:
Jedesmal bin ich erstaunt, wie gut man dort die Katzen kennt; wie kurz die Katzen dort normalerweise "wohnen".

Und wie toll es ist, das es Menschen gibt, die sich darum kümmern :herz: :herz: :herz:
Es grüßt Bianca mit den "Zicken" Luna (09.09.2009 - 23.08.2020) & Piper (09.09.2009 - 22.06.2021) im Herzen und dem Kämpfer Wookie

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Barbarossa
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von Barbarossa »

locke1983 hat geschrieben:Jedesmal bin ich erstaunt, wie gut man dort die Katzen kennt; wie kurz die Katzen dort normalerweise "wohnen".

Und wie toll es ist, das es Menschen gibt, die sich darum kümmern :herz: :herz: :herz:
Es gibt solche und leider auch andere TH. Wie das große, wo ich damals war. Da kam eine alte Frau reingeplatzt, Kennel in der Hand und schimpfte: "Die will ich nicht! Mit der komme ich nicht klar. Eine Woche ist die da, aber die lässt sich immer noch nicht anfassen!" TH-Mitarbeiterin: "Nein, das geht nicht. Geben sie die her und suchen sie sich eine neue Katze aus." *würg* Das ist eine lieblose Verwahrstation. Futter rein, Klappe zu.
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locke1983
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von locke1983 »

Barbarossa hat geschrieben: Es gibt solche und leider auch andere TH. Wie das große, wo ich damals war. Da kam eine alte Frau reingeplatzt, Kennel in der Hand und schimpfte: "Die will ich nicht! Mit der komme ich nicht klar. Eine Woche ist die da, aber die lässt sich immer noch nicht anfassen!" TH-Mitarbeiterin: "Nein, das geht nicht. Geben sie die her und suchen sie sich eine neue Katze aus." *würg* Das ist eine lieblose Verwahrstation. Futter rein, Klappe zu.
Boah das ist aber wirklich grausam :kotz:

So was gibts bei uns Gott sei Dank nicht.
Der Tierheimleiter und auch die Helferinnen kennen die Tiere sehr gut.
Und wenn die Menschen unbedingt eine Katze wollen die so gar nicht zu ihnen passt, dann gibts eben gar keine Katze.
Es gibt auch keine Kitten in Einzelhaltung.
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Alexia
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von Alexia »

Oh gott, ich musste gerade so weinen :heul: :heul:
Die armen Katzen!
Ich werd nie verstehen, wie man ein tier einfach so weggeben kann. Weil es kein Baby mehr ist, oder weil jetzt die Rasse in ist und man dann ja keine "einfache" Hauskatze mehr ist. Schrecklich! Wie kann ein Mensch einem Tier nur sowas antun??

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Claudia
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von Claudia »

Alexia hat geschrieben:Wie kann ein Mensch einem Tier nur sowas antun??
Die, die ihre Tiere ins TH geben, sind ja fast noch die Harmlosen.
Menschen sind zu so unfassbar vielem fähig.

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Alexia
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von Alexia »

Claudia hat geschrieben: Die, die ihre Tiere ins TH geben, sind ja fast noch die Harmlosen.
Menschen sind zu so unfassbar vielem fähig.
Ich weiß, aber... alleine das. Oder wenn ich an das in der Ukraine denke. Ich verstehs einfach nicht.
Oder an die ganzen Tiere, die einfach nur ausgesetzt werden. In Kartons, in Mülleimer, in... was auch immer. Man hat sich doch für das Tier entschieden, die verantwortung dafür übernommen, wie kann man nur???

Minusch
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von Minusch »

Ach Mensch, wenn ich sowas lese muss ich immer heulen und das hinterlässt immer ein ganz schlimmes Gefühl in der Magengegend, weil man ja genau weiß, dass es ganz viele von solchen Fellchen gibt, die im TH vor sich hinvegetieren.
Bin Sonntag wieder bei unserer örtlichen Pfotenhilfe, die eigentlich nur ein Gnadenhof für alte, kranke Katzen ist oder halt für welche, die nicht vermittelbar sind oder die keiner haben wollte.
Ihr glaubt nicht, was da für Schätze bei sind! Alle superlieb und verschmust.
Und als ich das letzte Mal da war kam eine Helferin mit einer schätzungsweise 10 Wochen alten Katze an, die gerade 5 Minuten vorher dort ausgesetzt wurde.
Die hatten sich schon gewundert, als die da zwei Leute schnurstracks und schnell weggingen sahen und kurz danach entdeckten sie die kleine Katze, die dort ziellos langlief.
Andere Kitten haben sie im Moment auch noch, bedingt durch die Kittenschwemme, obwohl sie ja eigentlich nur als "Gnadenhof" da sind.

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Zwergpanther
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Re: Gedanken von Nils einer Tierheimkatze

Beitrag von Zwergpanther »

Die Nils-Geschichte, ich habe sie auch schon gelesen. Könnte wirklich eine Tierheim-Katze geschrieben haben. Allerdings musste ich mir das Weinen schon abgewöhnen, sonst ginge ich kaputt, so "dicht dran" wie ich bin.
In meiner Katzenfamilie sind auch drei von ihnen solche Langzeitsitzer, und es gibt nichts was über deren Zuneigung hinausgeht, wenn man sie gewonnen hat.
Liebe Grüße von Elke
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Ich meine was ich sage und stehe hinter dem was ich tue.

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